Zur Werkgruppe “Stadtlandschaft“
Gerda Leos Stadtlandschaften zeigen selten das große Ganze, vielmehr fotografierte sie gesehene Eigenheiten: Das Spiel des Schattens auf sonnenbeschienenen Flächen, die gegebene grafische Struktur von Mauerwerken und Kopfsteinpflastern oder die Spiegelung eines Gebäudekomplexes im Fluss. Gewisse stilistische Elemente wiederholen sich in ihren Arbeiten. Gemäß dem von Alexander Rodtschenko (1891–1956) propagierten Abrücken von der Bauchnabelperspektive weisen die Kompositionen des Öfteren den Blick von unten nach oben (Froschperspektive) oder von oben nach unten (Vogelperspektive) auf, zum Beispiel den Blick aus dem Fenster. Dem Spiel von hellem Sonnenlicht und dunklem Schattenwurf schenkte Gerda Leo große Aufmerksamkeit. Der Schatten kann dabei als große Fläche das kompositorische Gegengewicht zu besonnten Stellen oder als filigranes Muster wie eine zarte Zeichnung erscheinen. Mit dem scharfen Blick des “Neuen Sehens“ fand Gerda Leo ihre städtischen Motive und hielt sie als Stadtlandschaften fest. Alles war schon da. Es musste nur gesehen werden.
Zum Motiv “Der Trödel in Halle“
Spätmittelalterliche Gebäude drängen sich dicht an dicht um einen kleinen Platz, der in eine schmale, dunkle Gasse mündet. Gerda Leo fotografierte hier das Areal des Hallenser Trödel, der dem gesamten Stadtviertel den Namen gab. Mitte der 1960er Jahre mussten die krummen, pittoresken Häuser Neubauten weichen, so dass diese Aufnahme auch als Chronik der Hallenser Stadtgeschichte dienlich sein kann. Nicht nur Gerda Leo interessierte sich um 1931 für den Trödel: Von ihrem Lehrer Hans Finsler gibt es ebenso Zeugnisse des Motivs wie etwa auch von dem berühmten Bauhaus-Meister Lyonel Feininger (1871–1956), der zwischen 1929 und1931 die elf Gemälde seiner Halle-Serie schuf. Der künstlerische Reiz am Trödel lag für Gerda Leo sicherlich an der starken Verdichtung der Architektur. Die kleine Gasse am Ende des Platzes rückte Leo aus der Symmetrie, ganz den schiefen Häusern entsprechend. Die linken Gebäude liegen im Schatten und halten das Gegengewicht zu den von der Sonne beschienenen größeren Fläche der Fassaden auf der rechten Seite. Mittels der Asymmetrie und dem Hell-Dunkel durch das Tageslicht gelang Gerda Leo eine Komposition, die den Platz gewissermaßen in Gänze erfahrbar macht, ohne jedoch alle Gebäude zu zeigen.
Schenkung Gerda d'Oliveira-Leo, Amsterdam