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Stiftung Händel-Haus Halle Handschriftensammlung [AS-Franz B 126]
Brief von Robert Franz an Julius Schäffer, Blatt 1, Vorderseite (Stiftung Händel-Haus Halle CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Stiftung Händel-Haus Halle (CC BY-NC-SA)
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Brief von Robert Franz an Julius Schäffer vom 01.02.1871

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Beschreibung

Brief von Robert Franz an Julius Schäffer, Halle (Saale), 01.02.1871

Enthält u.a. umfangreiche Klagen über eine negative Rezension Friedrich Chrysanders zu Franzschen Händel-Bearbeitungen.

Transkription:

Bester Schäffer!
In meinem letzten Briefe wollte ich mich nur bei Ihnen wieder einmal in Erinnerung bringen. Es versteht sich von selbst, daß Ihre Concerte keinen anderen Verlauf nehmen können, als ihn die Verhältnisse vorschreiben. Läßt sich aber gelegentlich eine Einlage im Interesse meiner Arbeiten bewerkstelligen, so wird es mir sehr lieb sein, wenn Sie an mich denken. -
Chrysanders Notizen über meine Publicationen haben mich, ich kann es nicht leugnen, in eine gelinde Wuth versetzt. Das ist ja ein ganz unverschämter Schlingel, der sich ernsthaft einzubilden scheint, Händel, weil er sich sonst einiges Verdienst um ihn erworben hat, ausschließlich als Domäne[?] gepachtet zu haben. Des Kerls Perfidie ist um so größer, als er mich vor einigen Jahren direkt zur Mitwirkung bei seinen "Denkmalen der Kunst" zu veranlassen suchte. Damals hatte ich bereits einen großen Haufen Bach’scher Werke bearbeitet u. Chrysander mußte doch wissen, was von mir zu erwarten stand. Aus mancherlei Gründen schlug ich den Antrag ab u. jetzt stellt sich der Bursche an, als versündigte ich mich geradezu an den alten Meistern. Wie sich ein honetter[?] Künstler dazu hergeben kann, sich von so einem ausrangirten Philologen in’s Schlepptau nehmen zu lassen, ist schwer zu begreifen. Leider steht’s aber mit der künstlerischen Respektabilität heut zu Tage schlecht genug, wie Sie das z. B. an den Brahms’schen Bearbeitungen der Kammerduette recht augenfällig wahrnehmen können. Um Dresel einen harmlosen Scherz zu bereiten, ging ich einige Stündchen auf die Quinten u. Octavenjagd - wie ich ein volles Schock (wörtlich zu nehmen) gespießt hatte, wurde mir die Geschichte doch gar zu langweilig u. ich klappte den Bettel[?] zu. Und mit solchem Schunde, der dem ersten besten Schuljungen Schande machen müßte, wagt es Herr Chrysander, seine Ausgaben aufzuputzen. Aber auch ganz abgesehen von der stinkenden Unsauberkeit des Tonsatzes, tragen diese Fabrikate den Stempel völliger Impotenz an der Stirn: nirgends ist ein Schimmer von Stimmung herausgedrückst[?] worden. Sollte mir unser Herr Redakteur etwa in die Quere kommen, dann reibe ich ihm, dem Mitverantwortlichen, jenes volle Schock meiner Flohjagd, dessen Spießung denn noch nicht ganz überflüssig war, derb unter die Nase. Angesichts solcher Erbärmlichkeiten wird aber eine Redensart wie: "wir könnten dem Manne dann helfen u. Freude bereiten" schlechterdings beleidigend. Der Esel hat ja nicht die geringste Vorstellung von dem eigentlichen Kernpunkte meiner Arbeiten. Diese werden hoffentlich dazu beitragen, den Leuten früher oder später über Händel’sche Art die Augen zu öffnen, während die öden Dudeleien jener Pfuscher nothwendig den Erfolg haben, des großen Mannes allgemeinere Anerkennung zu hintertreiben u. in weite Ferne hinauszuschieben. Besehe ich die Sache recht bei Lichte, so wird mir’s immer klarer, daß Chrysander von dem coloss[a]len Ehrgeize besessen ist, mutterseelenallein die Rehabilitirung Händel’s in’s Werk setzen zu wollen. Offenbar genügen ihm die Triumphe auf dem Feld der Geschichte nicht mehr - er beabsichtigt auch "in Kunst" zu machen. Um seinen Schund aber an den Mann bringen zu können, muß er zuvor Besseres zu discreditiren suchen. Darum bleibt der Messias so lange aus, darum wurde in den Jahrbüchern für Musik der Schandartikel gegen Mendelssohn geschrieben, nur darum verdächtigt er jetzt heimlich meine Arbeiten. Auch Seb. Bach steht dem Kerl im Wege: die giftigen u. heimtückischen Angriffe zeigen es deutlich genug. Die Luft des 19.ten Jahrhunderts muß aber wahrlich von Elementen strotzen, die zur blinden Selbstanbetung nöthigen: es wäre sonst gar nicht zu begreifen, daß selbst die nüchternsten Gesellen diesem unseligen Cultus zur Beute fielen! -
Ob ich Ihnen schon von meinem kleinen Rencontre, das ich vorigen Herbst in Leipzig mit dem Herren v. Dommer hatte, vorplauderte, weiß ich nicht mehr recht. Der ist auch von einem possirlichen Dünkel angefressen[?], u. brütet fauchend auf seinen historischen Windeiern. Zu meinem gränzenlosen Erstaunen erfuhr ich da, daß es beim Accompagniment lediglich darauf ankäme, sich des Cembalo und der Orgel zu bedienen. Als ich dagegen in erster Linie einen stimmungsvollen u. reinen Tonsatz verlangte, schüttelte er lächelnd das Köpflein u. erklärte dergleichen für die größte Nebensache. In meiner Angst berief ich mich auf die vielen von mir angefertigten Clavierauszüge: man könne ja dieselben für Orgel u. Cembalo, wenn man überhaupt mit Bestimmtheit anzugeben wüsste, wo erstere u. wo letzeres einzutreten hätten, ausnutzen. Die wären wieder viel zu schwer gesetzt u. darum nicht im Geiste der alten Meister, orakelte der Mann. Kurzum, ich mochte es anfangen, wie ich wollte, er blieb selbstgefällig glucksend auf seinem Strohneste hocken. Endlich erbot er sich sogar, mir schriftlich ausführlicher Belehrung über meine Arbeiten zugehen lassen zu wollen. Auf meine Aeußerung hin, daß mir theoretische Belehrungen wenig nützen könnten, wenn sie nicht zugleich positive Berichtigungen des incriminirten Satzes brächten, erklärte er ganz naiv, dies nicht zu vermögen. Darauf ließ ich den trocknen Peter[?] stehen u. ging meiner Wege, überzeugt, einen neuen Widersacher gewonnen zu haben. Uebrigens erfuhr ich bei der Gelegenheit von Dommer, daß er zwar in Kunstdingen noch immer sehr mit Chrysander harmonire - Keineswegs aber in persönlichen. Er gab ihm die ehrenrührigsten Titulaturen, die ich hier gar nicht wiederholen mag. Sie werden also weise handeln, wenn Sie sich mit dem zweideutigen Patron nur so weit befassen, als unumgänglich nothwendig ist. -
Ueber die vier bis fünhundert kleinen Veränderungen, von denen Ihr Dr. Baumgart so verzückt in Chrysander’s Zeitung redet, habe ich mich auch königlich amüsirt. Unsere Historiker nehmen überall die Miene an, als seien sie vom Schicksal ganz expreß[?] zu Anwalten der verfolgten Unschuld bestimmt. Gewöhnlich ist es aber eine verschobene Busenschleife oder eine gekrümmte Stecknadel, die sie dermaßen in Eifer bringt, daß sie über solche Lappalien die Hauptsache völlig aus den Augen verlieren. Der Herr v. Gugler wollte zum Don Juan vor allem Anderen einen guten deutschen Text liefern - der ist kläglich mißrathen u. somit hat er nur dazu beigetragen, die bereits herrschende Verwirrung über Mozart’s Meisterwerk zu vermehren. Doch lassen wir diese Schulfuchser auf sich beruhen, wir werden sie doch nicht ändern!-
Sehr lieb wäre es mir, wenn Dresel Ihrer Aufführung der Passion beiwohnen könnte. Er hat noch immer seine Scrupel über Klang u. Ausführbarkeit meiner Partitur. So setzte ihm z. B. Ehren-David den Floh ins Ohr, daß ich die Posaunen zu hoch führe, verschwieg aber dabei wohlweislich die heitere Thatsache, wie man in Leipzig nur mit 3 Tenorposaunen (!!!) zu wirthschaften pflege. - Die Differenzen mit Dresel lassen sich nicht gut ausgleichen, weil wir die letzten Ziele der Kunst mit gar zu verschiedenen Augen ansehen. Während ich mich nach Kräften bemühe, vom Einzelnen zum Ganzen vorzudringen, bleibt er durchschnittlich[?] in jenem stecken u. hält dieses für pure Illusion. Doch haben wir die Fehde über dergleichen Dinge suspendirt u. verkehren nur noch in rein musikalischen Fragen. Je mehr ich Dresel zu danken habe, umso fataler sind mir diese kleinen Zerwürfnisse, über die ich Sie übrigens dringend zu schweigen bitte. So wußte er neuerdings Sander zu bestimmen, den Allegro doch in Verlag zu nehmen, ein Entschluß, der mir eine Centnerlast von der Brust nimmt. Die Partitur wird im Laufe des Sommers gestochen u. soll, nebst Clavierauszug u. Stimmen zum nächsten Herbst ausgegeben werden. -
Wenn Sie Dresel in zwei Worten zur Aufführung der Passion einladen wollten, würden Sie mich sehr verbinden: dann kommt er sicherlich. Seine Adresse ist: Herren Otto Dresel in Leipzig (Hôtel zur Stadt Dresden). Auf alle Fälle zeigen Sie mir aber den Tag der Aufführung an - ich werde dann meinerseits bei Dresel nachhelfen. Wenn nur Ihre Blasinstrumente leidlich sind - das Uebrige findet sich schon. -
Doch nun leben Sie recht wohl u. seien Sie schönstens gegrüßt.
Ihr[?] Rob. Franz.
Halle d. 1.ten Febr. 71.

Material/Technik

Tinte auf Papier

Maße

1 Doppelbl. + 1 Bl. (= 6 S.). 220 x 141 mm

Teil von

Literatur

  • Augenstein, Torsten Mario (2017): "Schockweise Quint- und Oktavparallelen" : die Generalbass-Aussetzungen der italienischen Duette und Trios von Johannes Brahms für Friedrich Chrysanders Händel-Gesamtausgabe von 1870 und 1880. In: Musiktheorie im 19. Jahrhundert : 11 Jahreskongress der Gesellschaft für Musiktheorie in Bern 2011 / herausgegeben von Martin Skamletz, Michael Lehner und Stephan Zirwes unter redaktioneller Mitarbeit von Daniel Allenbach, S. 33-50
  • Sasse, Konrad (Hrsg.) (1961): Katalog zu den Sammlungen des Händel-Hauses in Halle. 1. Teil: Handschriftensammlung. Halle
Verfasst Verfasst
1871
Robert Franz
Halle (Saale)
Empfangen Empfangen
1871
Julius Schäffer
1870 1873
Stiftung Händel-Haus Halle

Objekt aus: Stiftung Händel-Haus Halle

1937 erwarb die Stadt Halle das in der Großen Nikolaistraße gelegene Geburtshaus des berühmten Komponisten Georg Friedrich Händel und eröffnete hier...

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