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Museum Wolmirstedt Plattdeutsches Sprachgut [KG_P_6]
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Herkunft/Rechte: Museum Wolmirstedt (RR-F)
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Wie ich Neulehrer wurde

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Beschreibung

"Das war so Anfang des Jahres 46. Da kam mein Onkel, der war hier in der Gemeindeverwaltung und sagte: "Du sag mal, willst nicht Lehrer werden?" Ich sage: "Schon, ja warum nicht?" "Jetz secken se wecke." sagte "Wir haben Schrieben je kricht, von Wolmerstedt. Neulehrer sind dat." Ick sejje "Na ja" "Musst dick mal melden" sachte. Hab mick jemeldet, da hinten bei der Schranke und dann ging das los. Da mussten wir ein Diktat schreiben, waren wir eingeladen zum Diktat. Ich weiß noch genau, einen Fehler muss ich gehabt haben, die haben ja nicht gesagt, wer den Fehler hatte. Für Ravensbrück habe ich Ravensburg geschrieben. Na ja, dann wurden wir eingeladen, eingeteilt in vier Klassen, und denn ging das los. Ich bin auch gern Lehrer gewesen, von Anfang an. Na ja, es ist schon ein komisches Gefühl, die Verantwortung zu übernehmen für eine Klasse. Ich sollte ursprünglich nach Meseberg, da war ich vorgesehen, hatte mich auch gemeldet. Und da hab ich gewartet auf dem großen Steintritt vor der Schule da. Und dann kam auch zu Fuß der alte Mann, der war schon bald an 70 ran und der kam angefegt von Wolmirstedt mit dem Fahrrad vom Schulamt und sagte: "Sie sind Herr Etterwindt" Ick sage "Ja" "Sie kommen hier nicht her, passen Sie auf, wir haben eben drüber gesprochen, ich brauche keinen, Sie kommen nach Hermsdorf. Sie sollen mal sofort zum Schulrat kommen. Mit dem Fahrrad von Meseberg durch Samswegen durch nach Wolmirstedt, am Sonnabendmittag. Da war dann der Krüger, der sagte: "Gut dass Sie kommen. Das kommt anders. Ach wissen Sie schon?" Ich sagte "Ja." "Nach Gersdorf, stellen Sie sich da mal vor." Ich nach Hause, Happen gegessen, Mittagbrot und dann nach Gersdorf. Da hatte ich immer in meiner Vorstellung so das Bild, das Gersdorf so östlich von Dahlenwarsleben läge. Hab nämlich mit jemand gesprochen, als wir nach Hause fuhren mit dem Zug nach Hause fuhren von der Schule. Ich sag: "Wo ist denn der da her, der ist immer jeden Sonnabend da und Montag." "Ach sagt der, dass ist Hubert Lübke, der ist hier in Pension bei Seppel Mantay." Und ich sagte: "Wo wohnten der?" "Na in Gersdorf, das ist kein richtiges Dorf" sagte er "Bloß ein paar Häuser und so." Naja da hab ich mir das Dorf so ausgemalt in meiner Fantasie, so rüber nach Ebendorf rüber.
Und nu fuhr ich los, Dahlenwarsleben gefragt: "Wo gehts nach Gersdorf?" Hab schon so halb rüber geguckt nach links. "Nee, da lang und da ist nen Wechweiser, da stehts dran." Stand och dran. Nach Gersdorf hin und da haben sie ein Haus abgerissen; Blumenthals. Altes Haus, neu gebaut. Ja, er war Maurer konnte das. Ich sage: "Ich möcht zur Schule" "Zur Schaule?" sagten die. "Ja." Ich sag: "Wo geht denn das lang?" "Also immer grade ut und da wo et nich weiter geit, da is de Schaule uff de rechte Siete." War och so.
Da war Martha Jeschke, die hatte den Flur gescheuert, die Mauersteine und hat den Vater, Vater Jeschke geweckt, der hat sein Mittagschläfchen gehalten, immer. Jeden Tag.
Sagte er: "Sie heißen Etterwindt? Sagen Sie mal mit DT?" "Ja sag ich mit DT" Wissen Sie was das bedeutet?" "Nö" sag ich "Hat mir noch keiner irgendwie gesagt." "Also das ist so, mit hoher Wahrscheinlichkeit" sagt er "Das Etter, das kommt aus dem mittelschwäbischen und ist verwandt sprachlich mit Gitter und Gatter, da kommen die beiden T vor. Das ist also ein Zaun und der den Zaun pflicht, ja so geflochten hat, das war der Etterwindt, der Zaunpflechter. Sie sind der Zaunpflechter." sagte er.
Da hab ich gestaunt. Da hab ich gedacht, Mensch wenn du das so weiter geht musst du dir noch anderen Kopf besorgen, dass das alles rinpasst. Hin zum Bürgermeister, zum Wenzel Feiren nebenan, der hatte auch in der Schule ein Büro gehabt. Also in der ehemaligen Lehrerwohnung. "Ja" sagt er "wir haben jetzt kein Zimmer. Wir müssen mal sehen, wenn der Sohn kommt, der Schauspieler aus München von Frau Klinger, dann muss die da raus, dann ist das Zimmer zu klein für die Dreie." Dann war Manni Klinger der andere Sohn, der war 15. "Dann kommen die woanders hin.
Und dann kann der Lehrer" - der war aus Österreich - "dann kann der Lehrer dort das Zimmer kriegen. Aber erst mal muss er solange auf den Saal bei Kohnerts." Hab ich gedacht: Saal? Da hab ich immer das Gefühl, Saal, daß müsste sowas riesiges sein. Das war bei dem größten Bauern dort, eine sehr große Stube. So 15 Meter lang vielleicht und 6 Meter breit. Da haben die Erntefeste gefeiert oder große Hochzeiten und sowas. Und da bin ich dann aufgetaucht, mit meinem Holzkoffer und meinem Wecker, den ich habe reparieren lassen. Armbanduhr hatte ich nicht zu der Zeit. Wenn ich wissen wollte wie spät es war, dann bin ich auf die Straße gegangen und habe da zum Turm geguckt, zur Turmuhr. Na ja und da waren 6 Betten wohl, 1 war noch frei. Fünfe waren folglich belegt, waren Landser, junge Soldaten, die nicht wussten wohin, ja wo die Verwandten geblieben waren - Umsiedler. Und das sechste Bett, was frei war, das war nun meins. So war ich dann untergebracht. Das ging 6 Wochen, der Schauspieler, der ist heute noch nicht da von München. Dann bin ich umgezogen zu Schützes. Die hatten zwei Ochsen - kleine Bauern - paar Kühe und kleines Viehzeug alles so. Und da hatte ich eine Stube, eine kleine Stube so eine Dachstube oben für mich allein richtig. Und meine Möbel hab ich dann bekommen und hab dort herrlich gelebt. Ja da konnte ich meine Bücher einkramen und alles so und konnte runtergucken auf’n Schulhof. Ja, da war der Brunnen, der Schulbrunnen; in der Chronik stand: Dieser Brunnen wurde gebaut für den Lehrer und für durchziehende Zigeuner. Dasselbe war in der Kirche. Da waren die Bänke links und rechts, in der Mitte der Gang, und dann an der Seite die Sitze für die Bauern, wer also ein Besitztum hatte, der hatte da einen Stuhl, oder wie das hieß, so ne Loge praktisch. Ich ging mit in die Loge wo ich da gewohnt hab, normaler Weise gehörte ich da nicht hin. Ich gehörte auf die Bank, aber auf die erste. Das war ein Privileg für den Lehrer.
Können Sie sich noch dran erinnern, wie Sie den ersten Tag vor der Klasse standen? Ja, erst mal hab ich reingeschaut in den Klassenraum. Der ist ein bisschen größer als dieser Raum aber nicht so hoch. Da waren wohl 6 Fenster drin und ein alter Ofen. Als ich das anschaute, kam ein alter Mann, das war der Herr Kühne. Der war über 90 so ein großer Mensch. Der sagte: "Herr Kanter, Sie wundern sich, was ich hier will. Ich will nur mal gucken, ob das noch so ist. Ja" sagt er "Der Ofen, als ich noch zur Schule ging, war der schon alt." Naja und die Möbel entsprechend auch. Dann waren 4 Jahrgänge, immer 4 Bänke, darüber auch 4 Bänke - Viersitzer-Bänke - 1. Jahrgang vorn 8 Schüler und dann so weiter. Nun hatten wir aber keine Methodik für Lesen lernen; gar nichts. Ich wunder mich heute noch, dass die Lesen gelernt haben, damals in der 1. Klasse.
Einschulung, da seh ich noch den alten Vater Schmied, der brachte seinen Sohn, nein seinen Enkel zur Schule, der Sohn war gefallen. Also ich war gerührt, wie der alte Mann so gerade mit dem Enkel zur Schule ging, in anmeldete. Ich denke: Mann Gottes, wenn das der Vater sehen würde heute hier. Die Mutter blieb zuhause; da waren zwei Kinder: Die Gerdi, die war nachher Sekretärin in Lemsdorf an der Schule und hat mir auch erzählt unterwegs was sie alles erlebt hatte - aber das führt zu weit.
Und dann geht das los, Fibeln - naja Fibeln hatten wir. Ich wusste aber keine Methode, wie man das so macht."

Material/Technik

Tonaufnahme

Maße

Dauer: 6:15 min

Karte
Hergestellt Hergestellt
1995
Häusler, Margitta
Samswegen
Verfasst Verfasst
1995
Arthur Etterwindt
Samswegen
Aufgenommen Aufgenommen
1995
Arthur Etterwindt
Samswegen
1994 1997
Museum Wolmirstedt

Objekt aus: Museum Wolmirstedt

Das Wolmirstedter Museum wurde 1927 gegründet und befindet sich seit 1981 in einer teilweise ausgebauten Bruchsteinscheune auf der Schlossdomäne,...

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