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GLEIMHAUS Museum der deutschen Aufklärung Mode-Thorheiten

Mode-Thorheiten

Die zwölf Kupfer Chodowieckis zum „Genealogischen Kalender“ der Berliner Akademie der Wissenschaften auf das Jahr 1789 haben dreiste Betrüger, gerissene Wunderheiler, demagogische Sektengründer, Exorzisten oder etwa den ominösen Hochstapler Cagliostro zum Gegenstand.
Die Darstellungen greifen, wie es die Beschriftungen unter den Bildfeldern angeben, Berichte aus den Jahrgängen 1783 bis 1785 der „Berlinischen Monatsschrift“ auf. Die Zeitschrift, eines der zentralen Organe der Berliner Aufklärung, suchte „Eifer für die Wahrheit, Liebe zur Verbreitung nützlicher Aufklärung“ zu erregen „und zur Verbannung verderblicher Irthümer“ (Vorrede) beizutragen. Die Verbannung von ‚Irrthümer‘ war durch deren Entlarvung zu bewerkstelligen.
Durch die ausführliche Darlegung, teilweise auf der Grundlage von Gerichtsakten, wird das Ausmaß der Begebenheiten deutlich. Nicht den illustren Protagonisten der Geschehnisse wird ‚Thorheit‘ attestiert, sondern deren Publikum, das ihnen aus Leichtgläubigkeit, Habgier, Aberglaube und Schwärmerei ‚auf den Leim‘ gegangen war. Besonders bestürzend musste sich dabei der Umstand auswirken, dass es sich es sich hierbei nicht etwa um Ereignisse früherer Jahrhunderte, sondern um solche der allerjüngsten Vergangenheit und noch der Gegenwart handelte, die sich noch dazu teilweise im sich als so aufgeklärt gebenden Berlin oder seiner näheren Umgebung zugetragen hatten. Dem trägt die Bestimmung der ‚Thorheit‘ als ‚Mode‘ Rechnung, die also eben der eigenen Zeit anhafte.

[ 12 Objekte ]

Rosenfeld in seinem Serail, um ihn seine Jungfrauen (Mode-Thorheiten 1)

In den 1770er Jahren trat in Berlin ein Wanderprediger namens Rosenfeld auf, der sich als Heiland ausgab. Für sein Erlösungswerk benötige er, wobei er sich auf die Apokalypse des Johannes berief, sieben Jungfrauen. Tatsächlich führte ihm ein Anhängiger seine 15jährige Tochter zu, die er sogleich beschlief. Bald wurden ihm weitere Mädchen gebracht. Eine war, wie Chodowiecki zeigt, seine Favoriten, die übrigen behandelte er mit der Peitsche. Nachdem ihn der Vater von dreien der Mädchen anklagte, wurde er zu Zuchthaus verurteilt. Der Darstellung liegt ein aktenmäßiger Bericht in der "Berlinischen Monatsschrift" (1783, S. 74ff.) zugrunde.

Der Mond Doktor (Mode-Thorheiten 2)

Ein Berliner Strumpfwirker namens Weisleder heilte Kranke, indem er deren ‚Schaden‘ wie auch sein Gesicht vom Licht des im ersten Viertel zunehmenden Mondes bescheinen ließ, und hatte damit regen Zulauf aus allen Gesellschaftsschichten. Eben letzterer Umstand, der zeigt, dass sich der Aberglaube nicht auf das einfache Volk beschränkt, macht den Fall dieses Wunderheilers unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung so brisant.

Hexen Process in Glarus (Mode-Thorheiten 3)

Nachdem die Tochter eines Arztes und Ratsherrn Johann Jakob Tschudi Blut sowie Stecknadeln erbrochen und angegeben hatte, einen süßen Kuchen von der Magd und einem Verwandten der Familie erhalten zu haben, wurden jene verdächtigt, in dem Kuchen die Stecknadeln versteckt zu haben. Die Magd sollte nun das Kind heilen. Unter Folter gestand die Magd, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Sie wurde zum Tode verurteilt und am 6. Juni 1782 hingerichtet. Chodowiecki wählt für seine Darstellung den Moment der der Magd abverlangten Heilung des Kindes und reiht die Geschichte damit in die übrigen Fällen von obskuren Heilern ein. Von nicht geringerer Brisanz, auch in aufklärerischer Sicht, ist indes die Verdächtigung als Hexe. Verurteilt wurde die Magd allerdings nicht als Hexe, sondern als Giftmörderin. Über den Fall wurde von Seiten des Gerichts Geheimhaltung verhängt. Dennoch wurde er bald publik und als Justizmord bezeichnet. Erst in heutiger Zeit konnte festgestellt werden, dass Anna Göldi, so der Name der Magd, wohl ein Verhältnis mit ihrem Dienstherrn hatte und dieser den Hexenprozess bemüht hatte, um sie los zu werden.

Ziehen (Mode-Thorheiten 4)

Der Namen "Ziehen" war den Menschen des späten 18. Jahrhunderts ein Begriff. Viele hatten sich durch seine Prophezeihungen in äußerste Sorge versetzen lassen. Spätestens im Jahr 1786 werden ein verehrendes Erdbeeben und eine Revolution in den deutschen Landen und weiteren Teilen Europas schwerste Zerstörungen anrichten. Kleinere Erdbeben in der Schweiz und in Süddeutschland schienen seine Prophezeihung, die er aus einem "Buch Chevilla" herausgelesen zu haben angab, zu bestätigen. Sein prominentester Widersacher war der Göttinger Professor Georg Christoph Lichtenberg. Zur Zeit von Chodowieckis Radierung konnte man sich bereits allgemein angstfrei mit Ziehen beschäftigen, denn der festgesetzte Weltuntergangstermin war verstrichen. Das Auftreten des Weltuntergangspropheten konnte als Paradebeispiel für die Empfänglichkeit der Menschen für Schreckensvisionen wirrer Geister betrachtet werden. Ziehen jedenfalls hatte für epidemische Hysterie gesorgt. Chodowiecki stützte sich bei seiner Radierung auf einen Bericht in der "Berlinischen Monatsschrift" von 1783, in der ein Zeuge aus Zellerfeld über den drei Jahre zuvor verstorbenen Pastor Auskunft gab. Darin wurde Ziehen als grüblerischer Denker charakterisiert, der stundenlang auf einem Fleck stillstand. Eben dieser Eigenart gab Chodowiecki in der statuarischen, zentral stehenden Figur des Pastors mit dem "Buch Chevilla" in der Hand, der Quelle seiner Prophezeihung, Gestalt.

Bacchanalien in der Christnacht zu Zellerfelde (Mode-Thorheiten 5)

Aus Zellerfeld, dem Wirkungsort des Weltuntergangspropheten Ziehen, überlieferte die 'Berlinische Monatsschrift' ein weiteres Beispiel der Haltlosigkeit der Einwohnerschaft. Demnach hatten sich die Kirchgänger vor der Christnacht gegen die Kälte mit reichlich Branntwein versehen, mussten sich während des Gottesdienstes übergeben und entleeren, vollführten in ihrer Enthemmtheit nur ein exaltiertes Spiel mit den Kerzen aus den Kronleuchtern, und trieben Unzucht. Der Superintendent erwiderte auf die Anzeige dieses Bacchanals nur gleichgültig, das Volk sei es nicht anders gewohnt. Tatsächlich waren solche Orgien zur Heiligen Nacht noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreiteter Brauch, obwohl ein Edikt Friedrich Wilhelms I. durch das Verbot des nächtlichen Gottesdienstes dagegen hatte vorgehen wollen, wie ein Beitrag im Novemberheft 1784 der "Berlinischen Monatsschrift" darlegt. In einer Zuschrift an die „Berlinische Monatsschrift“ nahm der Augenzeuge die Illustration der Szene durch Chodowiecki vorweg: „… und wäre ich ein Chodowiecky, so glaubte ich im Stande zu sein, noch die ganze Bakchantengruppe recht nach der Natur zu zeichnen, so wie ich sie damals gesehen habe.“

Musefeld der seinen Vater bekehrt (Mode-Thorheiten 6)

Über einen Sektenstifter Musefeld, einen derben Bauernsohn, berichtete 1784 ein Charlottenburger Prediger, der ihn gekannt hatte, an die "Berlinische Monatsschrift". Dieser sei vermeintlich durch einen göttlichen Wink darauf gebracht worden, dass der Mensch nicht durch gute Taten, sondern allein durch die Gnade Gottes selig werden könne, und dadurch selbst zur Seligkeit gelangt. Sein eigener Vater habe sich zu dieser Ansicht bekehren lassen, nachdem er in der Nacht von Angstzuständen heimgesucht worden war und sich die Haare ausgerauft hatte. Musefeld habe darauf gesagt: "Nun seid Ihr selig". Diesen Moment wählte Chodowiecki für seine Radierung aus: Musefeld mit der Schlafmütze auf dem Kopf, mit den Händen himmelwärts sowie auf seinen Vater zeigend, steht vor diesem, der noch benommen von seinem Leiden auf dem Bett sitzt. Die Bekehrung seines Vaters und seiner Gemahlin war nur der Auftakt zu einer Laufbahn als Sektengründer, auf die Musenfeld maßgeblich dadurch gebracht wurde, dass ihm der Prediger der Spittelkirche in seiner Erbauungsstunde das Wort überlassen hatte, wenn er selbst verhindert war. Hier konnte Musefeld seine Ansichten verbreiten. Wie der Autor des Berichts beobachtete, war Musefeld selbst in seinem Eigensinn unbelehrbar, genoss andererseits bei ungebildeten Zuhörern hohe Glaubwürdigkeit.

Eine Schatz Gräber Geschichte (Mode-Thorheiten 7)

Was Chodowiecki nach einem gerichtsaktengestützten Bericht in der “Berlinischen Monatsschrift” unter dem Titel “Eine Schatz Gräber Geschichte” illustriert ist eine Posse der hahnebüchenen Überlistung einer leichgläubigen reichen Witwe, der Witwe Ruschke in Quappendorf bei Fürstenwalde. Nachdem diese bereits mehrfach in ihrer Schwäche für Wünschelrutengänger und Kaffeesatzleser auf Betrüger hereingefallen war, wurde sie von einem angeblichen 'überstudierten' Schatzgräber im großen Stil ausgenommen. Bei einer nächtlichen Schatzsuche zitierte dieser , wie Chodowiecki zeigt, den Geist eines Schatzes, der zusagte, diesen Schatz freizugeben, sofern man dem Kloster Neuzelle eine bedeutende Stiftung zukommen lasse. Tatsächlich stieß man bald auf eine Kiste. Vor deren Öffnung musste jedoch die Stiftung getätigt werden. Der Schatzgräber bot sich als Überbringer dieser Summe an, welche die Witwe in Erwartung des Schatzes leichten Herzens gab. Selbstverständlich machte der Schatzgräber sich mit der Summe aus dem Staub und überließ das Öffnen der Kiste, die nur Sand und Steine barg, der Witwe.

Der Wunder Doctor Mathes (Mode-Thorheiten 8)

Johann Gottfried Mathes, ein Schäferknecht und Textilarbeiter, trat in den 1780er Jahren in Berlin als Wunderheiler auf. Seine Kuren vollführte er durch Elixiere, Handauflegen und Gebet, aber auch durch Bezauberung, Teufelsaustreibung und magische Prozeduren. Seine Patienten versetzte er durch sein Gebahren in Furcht, manche trieb er in Wahnsinn, so in den beiden seiner Heilversuche, die gerichtsnotorisch geworden sind. Dem Wassersüchtigen, dessen Puls er auf Chodowieckis Darstellung gerade fühlt, machte er schlichtweg weis, er habe keine Wassersucht. Der Patient verlor den Verstand und starb. Zu der Zeit, als der aktenmäßige Bericht über den Fall in der „Berlinischen Monatsschrift“ erschien, saß der Wunderheiler im Zuchthaus. Der Bericht ist mit “B.” gezeichnet und wurde wahrscheinlich von dem Mitherausgeber des Blattes, Biester, verfasst. Er berührt am Ende des Artikels das Problem der Wundergläubigkeit des Volks, dessen Anfälligkeit für Verführung: „Aber wer heilt den Glauben des gemeinen Mannes an Wunder? Oder vielmehr, wer sorgt nur dafür, dass dieser Glauben nicht immer weiter um sich greift?“, fragt der Autor hilflos-verzweifelt. Damit sei zu konstatieren, dass das Projekt der Aufklärung noch längst nicht erfolgreich sei, dass man sich eitler Täuschung hingebe, wenn man „unsere Zeiten öffentlich die aufgeklärten [nenne]“. Dies wurde der Kerngedanke von Chodowieckis vorliegender Serie für den “Genealogschen Kalender”.

Der Berlinische Planetenleser (Mode-Thorheiten 9)

Erdmann Paul, aus Bukarest in der Wallachei gebürtig und damit türkischer Untertan, kam als Knabe mit seinem Vater nach Preußen. Ansässig war er in der Berliner Friedrichstadt, also in dem neuesten und modernsten Teil von Berlin. Hier, in der Zimmerstraße, wo er von seinen Einkünften sogar ein stattliches Haus hatte kaufen können, trieb der gelernte Seidenwirker auch sein einträgliches Geschäft, die Zukunftsvorhersage aus Karten und Planeten, genauer gesagt aus Planentenbüchern wie dem Hundertjährigen Kalender. Noch zur Zeit des Erscheinens des Berichts in der “Berlinischen Monatsschrift” war er in seinem Metier tätig. Bedenklich stimmt seine Auskunft, dass er “von hohen und niederen Herrschaften” in Anspruch genommen werde, womit ersichtlich ist, dass diese Art des Aberglaubens nicht auf die ungebildeten Schichten beschränkt war. Dies ist auch in Chodowieckis Darstellung zum Tragen gekommen: Vor dem Tisch, auf dem der angebliche Seher, ein aufgeschlagenes Buch vor sich, die Karten legt, steht ein dem Aussehen nach respektables bürgerliches Paar.

Labre, der neueste Heilige (Mode-Thorheiten 10)

Benedikt Joseph Labre, ein Sohn aus gutem Hause, zog als Pilger durch Europa und lebte seine letzten Jahre als Bettler und Mystiker in Rom. Schon bei seinem Tod am 16. April 1783 auf der Treppe zu der Kirche Santa Maria ai Monti stand er im Ruf der Heiligkeit. Das Volk strömte herbei, um, wie Chodowiecki zeigt, seine Hand zu küssen und Reliquien, einen Fetzen von seinem Lumpengewand, zu ergattern. Schnell wurde hundertfach von Wundern berichtet, insbesondere von wundersamen Heilungen und selbst Auferweckungen an seinem Grab. 1881 wurde Labre heiliggesprochen. Der Berichterstatter der „Berlinischen Monatsschrift“, dessen beständiges Kopfschütteln man dem Text anzumerken meint und der sich eines ironischen Tons nicht enthalten kann, markiert am Beispiel des Bettler-Heiligen die Polarität von verstandesgestützter protestantischer Aufklärung und mystizistischen Katholizismus. Tatsächlich erscheint der Katholizimus durch die Zeitgenossenschaft der Behauptung von Wundern und Heiligkeit in obskurster Unaufgeklärtheit. Innerhalb von Chodowieckis Serie treten Labre und diejenigen, die ihn als Heiligen erachten, mithin der Katholizismus neben Quacksalber, Scharlatane, Hochstapler, Wunderheiler und falsche Propheten.

Cagliostro (Mode-Thorheiten 11)

Der sizilianische Handwerkersohn Giuseppe Balsamon zog als Alessandro Graf von Cagliostro halb Europa mit seinen Hochstapeleien und Scharlatanerien in seinen Bann. In London, Paris, Den Haag, Brüssel, Venedig, Mitau, Sankt Petersburg, Warschau, Straßburg, Lyon, Rom und anderswo trat er als Alchemist, Okkultist, Heilkünstler, Spiritist, vor allem aber als Exponent der von ihm erfundenen ägyptischen Freimauerei auf. Immer wieder nahm er die Menschen von sich ein, immer wieder wurde er entlarvt und musste fliehen. Eine besondere Wirkung übte er, wie es in einem Brief aus Straßburg in der „Berlinischen Monatsschrift“ (Dez. 1784) heißt, der Chodowieckis Darstellung zugrunde liegt, auf „schöne, reiche und vornehme Weiber“ aus. Schon hier wird Cagliostro beschuldigt, er sei ein „unverschämter Bube [, der] die Schwachheiten und Thorheiten kurzsichtiger Menschen benutzt“. Mit dem Erscheinen einer Schrift von Elisa von der Recke im Jahr 1787 musste Cagliostro allgemein als entlarvt gelten.

Die Kurmethoden der drey Doctoren Dr. Süss Dr. Marck Dr. Sinn (Mode-Thorheiten...

Die letzte Illustration der Serie Chodowieckis ist ganz anderer Art als die vorherigen elf, veranschaulicht gleichwohl die Thorheit der Menschen. Anders als die Unterschrift „Die Kurmethoden der drey Doctoren Dr. Süß, Dr. Mark, Dr. Sinn“ vermuten ließe, sind in den drei Figuren der Darstellung nicht die drei Ärzte gemeint, die auch keine Wunderheiler sind, sondern drei Nachbarn, von denen zwei von gegensätzlichem Charakter in Streit geraten waren und der dritte schlichten sollte. Der eine klagte, der Mensch sei von Grund aus verderbt, der andere meinte, er sei gut, nur zu weich. Um zu vermitteln, erzählte der dritte eine Geschichte von drei Kranken und drei Ärzten. Letzte praktizierten nach ganz verschiedenen Methoden. Der erste kurierte seinen Patienten zu Tode, der zweite trieb seinen Patienten in den Wahnsinn, so dass dieser sich versehentlich erschoss, nur der dritte vermochte seinen Patienten zu heilen. Nach der Geschichte setzten die beiden Kontrahenten ihren Streit sogleich fort, worauf der dritte klagt: "An die Anwendung meines Geschichtchens [die allerdings tatsächlich nicht ohne weiteres als Parabel zu verstehen ist] ward nicht gedacht; und ich sah zu spät, daß es gleich vergebliche Arbeit sei, Mohren zu waschen, und Leute, die einmal Partei genommen, auf andere Gedanken zu bringen."

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