Zur Werkgruppe “Stadtlandschaft“
Gerda Leos Stadtlandschaften zeigen selten das große Ganze, vielmehr fotografierte sie gesehene Eigenheiten: Das Spiel des Schattens auf sonnenbeschienenen Flächen, die gegebene grafische Struktur von Mauerwerken und Kopfsteinpflastern oder die Spiegelung eines Gebäudekomplexes im Fluss. Gewisse stilistische Elemente wiederholen sich in ihren Arbeiten. Gemäß dem von Alexander Rodtschenko (1891–1956) propagierten Abrücken von der Bauchnabelperspektive weisen die Kompositionen des Öfteren den Blick von unten nach oben (Froschperspektive) oder von oben nach unten (Vogelperspektive) auf, zum Beispiel den Blick aus dem Fenster. Dem Spiel von hellem Sonnenlicht und dunklem Schattenwurf schenkte Gerda Leo große Aufmerksamkeit. Der Schatten kann dabei als große Fläche das kompositorische Gegengewicht zu besonnten Stellen oder als filigranes Muster wie eine zarte Zeichnung erscheinen. Mit dem scharfen Blick des “Neuen Sehens“ fand Gerda Leo ihre städtischen Motive und hielt sie als Stadtlandschaften fest. Alles war schon da. Es musste nur gesehen werden.
Zum Motiv “Gerbersaale Halle/Saale“
Direkt an der schmalen Hallenser Gerbersaale gelegen, portraitierte Gerda Leo diese kleinen Häuser, die sich nahtlos aus dem Fluss zu erheben scheinen. Das kleinste Haus trägt einen Schriftzug, der auf ein Baugeschäft hinweist. Gestapelte Materialien neben dem Haus scheinen das zu belegen. Den Auslöser tätigte die Fotografin unter einem Baum stehend, von dem gegenüber liegenden Ufer. Die Äste ragen von oben in die Komposition herein und bilden zusammen mit dem Fluss den natürlichen Rahmen der Steinarchitekturen. Der Kunsthistoriker T.O. Immisch schrieb über die Aufnahme:
"Die ausgewogene Verbindung von Detailfülle und klarer Bildstruktur der Stadtlandschaft 'an der Gerbersaale' ist auf den Gegensatz zwischen gebautem (Häuser) und natürlich geformten (Baum und Fluß) bezogen. Die Atmosphäre des Verwinkelten wie des Vorfrühlings entsteht durch die besonnten Flächen an den alten Häusern.“ (in: Staatliche Galerie Moritzburg (Hrsg.), Gerda Leo. Photographien 1926–1932, Leipzig 1994, S. 64). Heute gibt es die Gerbersaale in diesem Zustand nicht mehr: In den 1970er Jahren wurde mit dem Bau der Hochstraße ein Teil des Flusses verfüllt.
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