Diese kolorierte Federzeichnung des Schreibmeisters Conrad Heinrich Gier (geb. um 1695) zeigt eine Stadtansicht von Wernigerode von Süden in der Gestalt von 1731, also zwanzig Jahre vor dem verheerenden Stadtbrand von 1751, dem der größte Teil der Bausubstanz zum Opfer fiel. Mit arabischen Ziffern sind wichtige Gebäude markiert und in einer Legende unter der Darstellung bezeichnet. Dabei wird in der Nummerierung eine gewisse Rangfolge berücksichtigt. Die Nummern 1 - 3 sind gräflichen Gebäuden vorbehalten, allen voran das Schloss. Es folgen die Kirchen, dann das Rathaus und schließlich die Stadttore.
Die Ansicht erstreckt sich von der historischen Neustadt links bis zum Theobaldifriedhof rechts. Im Vordergrund fällt der Blick auf die durchgehende, mit zahlreichen Türmen bewehrte Stadtmauer. Im Hintergrund steigen die Berge des Harzes von links nach rechts an, die scheinbar höchste Erhebung stellt der Schlossberg dar.
Von links nach rechts erkennt man zunächst die romanische Johanniskirche (6) mit dem Johannistor (12), das Altstadt und Neustadt verband. Das 1833 niedergelegte Rimkertor (11) war in Größe und Gestalt das Pendant zum Westerntor. Der dahinter liegende Horstberg mit dem Horstbergturm findet keinen Eingang in die Legende. Der kleine Kirchenbau mit dem Dachreiter ist die Nikolaikirche (7) aus dem 13. Jahrhundert, die 1873 abgerissen wurde. Dahinter liegt über den Dächern der Stadt der Lustgarten (2) mit der Orangerie (3). In der Mitte der Stadt ragen schließlich die beiden Turmspitzen und das steile Dach mit dem Glockenturm des Rathauses auf (9). Rechts daran schließen sich die imposantesten Gebäude der Stadt an: die Liebfrauenkirche mit ihrer ehemaligen Doppelturmfassade (5), das Westerntor, dessen Turm - perspektivisch über Eck dargestellt - mit der Spitze fast das Schloss berührt, und die Sylvestrikirche (4) auf dem Klint. Die älteste Kirche der Stadt wurde im 9. Jahrhundert gegründet und ist hier mit dem damals neuen wuchtigen Turm von 1727 dargestellt, der aber 1869 wieder verändert wurde. Über all dem thront das Schloss der Grafen zu Stolberg-Wernigerode in seiner Gestalt als barockes Wohnschloss. Ganz rechts am Bildrand liegt die Theobaldikapelle (8), die seit 1712 einen Glockenturm hat und mit dem ältesten Friedhof der Stadt außerhalb der Stadtmauer liegt.