Der romanische Türzieher in Gestalt eines Löwenkopfes gelangte im Jahr 1908 in das Moritzburgmuseum. Er schmückte lange Zeit das Portal des nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissenen alten Renaissancerathauses am Markt. Ursprünglich muß er jedoch für eine Kirchen- oder Klosterpforte gefertigt worden sein. Vermutlich stammt der Türzieher von einer der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts abgebrochenen Kirchen am Markt; wahrscheinlich gehörte er zu einem Portal der im 12. Jahrhundert begründeten Marienkirche, dem östlichen Vorgängerbau der heutigen Marktkirche.
Stilistisch gehört der Hallenser Türzieher zu einer kleinen Gruppe erhaltener Arbeiten, die ihn als Meisterwerk der berühmten Magdeburger Gießhütte identifizieren lassen. Am engsten ist er mit dem Löwenkopf aus dem polnischen Kloster Czerwinsk verwandt, dessen Augen allerdings nicht graviert sind und deshalb nicht so lebendig wirken. Beide Türzieher haben die charakteristischen eiförmigen Menschenköpfe im Maul, die ebenfalls an der Nowgoroder Bronzetür überliefert sind, dem Hauptwerk der Magdeburger Hütte. Von ihr kennen wir die Namen von zwei Bronzegußmeistern der Mitte des 12. Jahrhunderts, Richwin und Waismuth.
Die sehr hoch entwickelte mittelalterliche Bronzegußtechnik basierte auf dem Wachsausschmelzverfahren. Hierbei wurde in einem grob vorgeformten Tonkern eine dünne Wachsschicht aufgetragen, in der die Feinmodellierung erfolgte. Nach dem Ansatz von Guß- und Luftkanälen mußte die Wachsform mit feinem Tonschlicker beschichtet und stabilisiert werden. Anschließend wurde sie in einem Ofen gebrannt und der Wachs über die Kanäle ausgeschmolzen. In die dann in feinen Sand eingebettete Tonform wurde über die Kanäle die flüssige Bronze eingegossen. Nach dem Erkalten mußte die Gußform abgeschlagen und damit zerstört werden.
Die Löwensymbolik findet sich im gesamten Mittelalter an Kirchenportalen. Als Behüter des Eingangs läßt sich dieses Bild bis hin zu altorientalischen Palast- und Tempelanlagen zurückverfolgen. Am Kirchenportal verheißt der Löwe Schutz und warnt zugleich vor der Entweihung des heiligen Raumes. Der Menschenkopf im Rachen des Tieres weist auf die Bedrohung durch dämonische Kräfte hin. Vermutlich ist hiermit auch der Höllenschlund gemeint, der die Ungerechten während des Jüngsten Gerichts verschlingt.
Der Türzieher gehört zusammen mit der in der Moritzburg bewahrten Halleschen Ottoschale und der im Landesmuseum für Vorgeschichte befindlichen Halleschen Laurentiustafel zu den wenigen, wirklich herausragenden Zeugnissen der hochmittelalterlichen Stadtgeschichte Halles. Ulf Dräger