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Tafelreliquiar

Kulturstiftung Sachsen-Anhalt - Domschatz und Dom St. Stephanus und St. Sixtus zu Halberstadt Schatzkunst [DS046]
Tafelreliquiar (Kulturstiftung Sachsen-Anhalt CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt / Falk Wenzel (CC BY-NC-SA)
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Beschreibung

Das Tafelreliquiar ist eines der herausragenden Werke des Domschatzes zu Halberstadt und ein bedeutendes Zeugnis der Kunstaneignung byzantinischer Vorbilder in der europäischen Kunst des 13. Jahrhunderts. Ausgangspunkt bildete die Schenkung von Reliquien Bischofs Konrad von Krosigk (1201-1208, gest. 1225), die er vom Vierten Kreuzzug aus Konstantinopel mitgebracht hatte. Sowohl anlässlich seiner Abdankung als auch bei seinem Tod kamen diese Reliquien an den Halberstädter Dom, so dass die Fertigung des Tafelreliquiars nach 1225 erfolgte.
Beim Tafelreliquiar handelt es sich um einen Behälter für Reliquien in Form einer rechteckigen Holztafel, die auf der Vorderseite reich mit Gold, Filigran und Edel- und Halbedelsteinen, Perlen, Emailplättchen und antiken Steinschnitten verziert ist. In Vertiefungen liegen, durch Beschriftungen (Authentiken) gekennzeichnet: in einem großen, mittleren Rechteckfeld kreuzförmig Teile des ‚Wahren‘ Kreuzes Christi, umgeben von einem weiteren kleineren Stück des Kreuzes, einem Dorn aus Christi Dornenkrone, Partikel „de corp[or]e d[omi]ni“, vom Körper des Herren, von den Haaren der Heiligen Jungfrau Maria sowie Reliquien des Heiligen Silvester, der Heiligen Anna, Maria Magdalenas und des Apostels Andreas. Um dieses zentrale Feld reihen sich Rundmedaillons mit Körperteilen von Aposteln, und zwar – im Uhrzeigersinn gelesen –Matthias, Petrus, Paulus, Johannes Ev., Andreas, Matthäus, Bartholomäus und Lukas, Thomas, Simon, Markus, Philippus, Jakobus und Johannes Bapt. Diese Komposition von erstrangigen Reliquien Christi selbst, der Muttergottes, der Heiligen Anna – somit Verkörperungen Christi Menschwerdung und seines Opfertodes – und von Zeitzeugen stellt eine einmalige dingliche Repräsentation der wichtigsten Protagonisten des Neuen Testaments und somit der Urkirche dar.
Diese Reliquiengelasse umzieht ein reicher Schmuck aus goldenen Filigranleisten, besetzt mit zahlreichen Perlen und Edelsteinen: Amethyst, Rosenquarz, Rubin, Saphir, Karneol, Granat, Chrysopas oder Smaragdmutter, Chalcedon, Türkis, zudem Muschelschalen, Perlen, farbloses und farbiges Glas sowie Bergkristall. Besonders ragen in der oberen Mitte ein antiker geschnittener Löwenkopf aus Bergkristall, ein Karneol-Intaglio mit der eingeschnittenen Darstellung einer Justitia und in der unteren Mitte ein Bergkristall-Intaglio, rückseitig geschnitten und mit Goldfolie hinterlegt, mit dem Porträtkopf des karolingischen Bischofs Theodulf heraus.
Zahlreiche Details der Verarbeitung weisen auf eine Zweitverwendung größerer Teile des Schmucks wie der Edelsteine, des Glases und auch des Filigrans (siehe Bergemann 2022).

Formale Gestaltungsvorlagen
Das Tafelreliquiar gehört mit der sichtbaren Präsentation der Reliquien durch Bergkristallfenster zu den ersten datierbaren Schaureliquiaren des christlichen Abendlandes. Bis ins 12. Jahrhundert verehrte man in der römisch-lateinischen Kirche die Heiltümer in gut verschlossenen Altären, Reliquiaren und Schreinen. Mit der Begegnung einer offeneren, direkteren Verehrung der Reliquien in der griechisch-orthodoxen Kirche im Zuge der Pilger- und Kreuzzugsfahrten nach und durch das byzantinische Reich kam es in Europa zu einem Mentalitätswandel, der entsprechend auf die visuelle und haptische Begegnung mit Heiltümern hintendierte. Im Vierten Laterankonzil (1215) verbot man allerdings die direkte Berührung und Herausnahme der Heiltümer ohne Reliquiar mit der Folge, dass gemäß der neuen visuell-haptischen Verehrungstendenzen durchsichtig gestaltete Reliquienbehältnisse in verschiedensten Formen entstanden, mit Sichtfenstern aus Bergkristall, Glas oder geklärtem Horn. Diesen neuen Reliquiarformen entspricht das Tafelreliquiar mit seinen Sichtfenstern aus Bergkristall.
Neu ist zudem seine Form mit der Verwahrung der Reliquien in einer Tafel. Als Vorbild gelten die orthodoxen Staurotheken, tafelförmige Reliquienbehältnisse zur Präsentation von Kreuzreliquien. Orthodoxen Staurotheken folgt das Tafelreliquiar als Schautafel formal und mit dem Zentrum der gesamten Komposition, einem Teil des Kreuzes, auch funktional. Den prominentesten Vergleich bietet die Limburger Staurothek (Klein 2004, S. 105-112. – Heuser, August / Kloft, Matthias Theodor (Hrsg.): Im Zeichen des Kreuzes. Die Limburger Staurothek und ihre Geschichte. Ausst. Kat. Limburg, Frankfurt 2009-2010. Regensburg 2009, S. 187-189), die möglicherweise sogar als das unmittelbare Vorbild angesehen werden kann. Denn sie stammte aus der Pharoskapelle des kaiserlichen Palastes in Konstantinopel, aus welcher Konrad von Krosigk auch einige der mitgebrachten Reliquien entnommen hatte, er kannte die Staurothek sehr wahrscheinlich. Das Halberstädter Tafelreliquiar führt dieses Vorbild allerdings weiter, indem es um das Kreuz die Reliquien der Urkirche sichtbar in zwölf Rundmedaillons und in bewusster Auswahl zu einem neuen Programm gruppiert.

Ikonographie
Die durch die Heiltümer und die herangezogenen Vorbilder bereits gegebene komplexe Bedeutung und durch die Ausrichtung fremder Vorbilder anspruchsvolle Aktualität des Tafelreliquiars erweitert die Gestaltung des verwendeten Schmucks. Denn die Wahl von Material – Gold, Edelsteinen und klarem Bergkristall – und Form – die rechteckige Anlage mit zwölf Rahmenelementen, besetzt von den zwölf Aposteln und in der Mitte Christus selbst – könnten auf der Beschreibung des „himmlisches Jerusalems“ gemäß der Offenbarung des Johannes (21,10-22,1) beruhen, die in eine Reliquiarform übersetzt wurde (Toussaint 2008, S. 213-223; Janke 2006, S. 146). Dem Text zufolge hat die Stadt Rechteckform. Sie besitzt zwölf Tore aus Perlen. Ihre Mauer besteht aus zwölf Grundsteinen, jeweils aus einem kostbaren Edelstein. Auf diesen Mauern stehen die Namen der zwölf Apostel. Aus reinem Gold wie aus klarem Glas sind die Straßen beschrieben, aus Kristall der vom Thron Gottes ausgehende „Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall“ (Offb 22,1). Die bewusste Intention, das Tafelreliquiar als „Himmlisches Jerusalem“ mit seinen zwölf Toren und Mauern in Reliquiarform wiederzugeben, bestärkt gerade die Zwölfzahl der Medaillons, obgleich 14 Reliquien in diesen eingebettet liegen.

Verwendung
Das Tafelreliquiar stellte nach seiner Vollendung eines der zentralen Heiltümer des Halberstädter Doms dar. Seine konkrete Verwendung ist bislang allerdings nicht sicher rekonstruierbar. Bezüglich seiner Funktion vermutete Gia Toussaint bereits die eines Tragaltars (Toussaint 2008, S. 96-99; dies. 2011, S. 195 f.). Für diese Verwendungsform allerdings ist die Stellfläche in der Mitte zu klein, zu erwartende Bestoßungen und Brüche an der sie umgebenden erhabenen Filigran- und Edelsteinzier nicht festzustellen. Das Tafelreliquiar selbst gibt keine eindeutigen Hinweise. Spuren von Nagellöchern zur Befestigung einer einstigen Hängung oder von Griffen sind nicht erkennbar oder durch das Leder zu ertasten. Auch fehlen Abnutzungsspuren an den Rändern und am Rücken des Tafelreliquiars, die ein häufiges Anfassen mit sich gebracht hätte; Rand und Untergrund – abgesehen von der Lederverkleidung – verblieben ungeschmückt. Die Sichtbarkeit der Reliquien legt aber eine Schaustellung des Reliquiars nahe. Hierfür könnte das Tafelreliquiar in einen weiteren Rahmen eingesenkt worden sein oder auch in eine Lade, die – ähnlich der Limburger Staurothek – mit einem Deckel zu schließen war. Tatsächlich überliefert die Geschichte der Halberstädter Bischöfe, dass das Tafelreliquiar gemeinsam mit anderen Reliquien aus der Schenkung Konrads von Krosigk Teil einer jährlichen Reliquienschau war (Schmidt 1883, S. 402). Schon 1208 hatte der Bischof einen Festtag zum Gedenken der Ankunft der Reliquien am 16. August 1205 eingeführt und einen Altar gestiftet zu deren dauerhaften Verehrung. An diesem Tag fand ausdrücklich eine feierliche ostensio reliquiarum – eine Reliquienschau – statt, bei der die zahlreichen Reliquien im Tafelreliquiar sowie in den weiteren Reliquiaren präsentiert wurden (Tebruck 2008, Bd. 1, S. 115). In diesem Kontext ist der Gebrauch des Tafelreliquiars zu verstehen.

Material/Technik

Goldfiligran, Edelsteine, Perlen, Emails, Bergkristall, Glas. Buchenholzkern mit Lederbespannung

Maße

H 45,3 x B 40,8 x T 3,3 cm

Literatur

  • Anonymus Halberstadensis (1876): De peregrinatione in Greciam & adventu reliquiarum de Grecia libellus. In: Exuviae sacrae Constantinopolitanae. Fasciculus documetorum minorum, ad byzantina lipsana in Occidentem saeculo XIIo traslata, spectantium, & Historiam quarti belli sacri imperijq; gallo-graeci illustrantium. Bd. 1. Paris, London, Leipzig, S. 20-21
  • Bergemann, Uta-Christiane (2022): Das Tafelreliquiar des Domschatzes Halberstadt. Neue Forschungen auf dem Prüfstand. In: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt Jahrbuch 2021. Leitzkau, 76-89
  • Braun, Josef (1940): Die Reliquiare des christlichen Kultus und ihre Entwicklung. Freiburg i. Br., Taf. 68
  • Effenberger, Arne (2013): Via Italia – Byzantinische Kunstwerke und Reliquien in Mitteldeutschland. In: Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 47. Leipzig, S. 305-346
  • Elis, Carl (1857): Der Dom zu Halberstadt. Historisch-archäologische Bechreibung. Halberstadt, S. 72
  • Flemming, Johanna (1982): Ein Silberplättchen mit Niellozeichnung in Halberstadt. In: Effenberger, Arne (Hrsg.): Metallkunst von der Spätantike bis zum ausgehenden Mittelalter. Berlin, S. 18-24
  • Frolow, Anatole (1961): La relique de la Vraie Croix : recherches sur le dévelopment d'un culte. Paris, S. 462-463
  • Haber, Conrad Matthias (1728): Kurtz-gefasste Aber doch gründliche Nachricht Von der hohen Stiffts-Kirchen Oder so genannten Dom-Kirchen zu Halberstadt, und deroselben Merckwürdigkeiten. Halberstadt, S. 45-46
  • Hahn, Cynthia J.; Klein, Holger A. (Hrsg.) (2015): Saints and Sacred Matter - the cult of relics in Byzantium and beyond. Washington, S. 178-180
  • Hecht, Christian (2011): Von Byzanz nach Halberstadt. Der byzantinische Diskos des Halberstädter Domschatzes. (Kleine Hefte zur Denkmalpflege 4). Halle, S. 30–33.
  • Hermes, Ernst (1896): Der Dom zu Halberstadt. Seine Geschichte und seine Schätze. Eine Festschrift zum 18. September 1896. Halberstadt, S. 92 und 98
  • Janke, Petra (2006): Ein heilbringender Schatz. Die Reliquienverehrung am Halberstädter Dom im Mittelalter. Berlin, München, S. 144-147
  • Krueger, Ingeborg (2012): Zu den „Smaragden“ auf dem Halberstädter Tafelreliquiar, in: Journal of Glas Studies 54. o. O., S. 247–253
  • Meller, Harald / Mundt, Ingo / Schmuhl, Boje E. Hans (Hrsg.) (2008): Ein heilbringender Schatz. Die Reliquienverehrung am Halberstädter Dom im Mittelalter. Regensburg, 96–99, Nr. 22 (G. Toussaint)
  • Reudenbach, Bruno; Toussaint, Gia (Hrsg.) (2005): Reliquiare im Mittelalter. Hamburg, S. 89-106
  • Schmidt, Gustav (1883): Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe 1. Bis 1236. Publicationen aus dem Kgl. Preußischen Staatsarchiven 17. Leipzig, Nr. 449; S. 401
  • Toussaint, Gia (2003): Heiliges Gebein und edler Stein. Der Edelsteinschmuck von Reliquiaren im Spiegel ihrer mittelalterlichen Wahrnehmung, in: Das Mittelalter 8. o. O., S. 41–66
  • Toussaint, Gia (2008): Imagination von Architektur. Das Halberstädter Tafelreliquiar als Bild des himmlischen Jerusalem. In: Kratzke, Christian / Albrecht, Uwe (Hrsg.): Mikroarchitektur im Mittelalter. Leipzig, S. 213-223
  • Toussaint, Gia (2011): Kreuz und Knochen. Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge. Berlin, S. 192–202
  • Westermann-Angerhausen, Hiltrud (2015): Spolia as Relics? Relics as Spoils? The Meaning and Functions of Spolia in Western Medieval Reliquaries, in: Cynthia J. Hahn/Holger A. Klein (Hrsg.), Saints and Sacred Matter - the cult of relics in Byzantium and beyond. Washington, S. 178–180
Hergestellt Hergestellt
1225
Halberstadt
[Zeitbezug] [Zeitbezug]
950
949 1252
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt - Domschatz und Dom St. Stephanus und St. Sixtus zu Halberstadt

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