Zur Serie: "Familienporträts"
Christian Borcherts wohl bekanntestes Projekt mit dokumentarischem Charakter sind die "Familienporträts“, eine Langzeitserie der Darstellung von Familien der DDR, der er sich über ein Jahrzehnt widmete. 1983 konnte er durch ein Stipendium der Gesellschaft für Fotografie im Kulturbund der DDR das Projekt beginnen. Ähnlich wie bei den vorangegangenen Gruppen- und Künstlerporträts überließ Borchert den Protagonisten auch hier die Möglichkeit einer aktiven Selbstdarstellung. Zugleich zeigen die Bilder stets einen visuell durchdachten Bildaufbau. Durch alle sozialen Schichten der eigentlich als klassenlos propagierten DDR-Gesellschaft hinweg, dokumentierte er so um die 80 Familien in ihren Wohnungen. Formal bleiben lediglich das Querformat und die Brennweite gleich, der Inhalt jedoch wird wesentlich von den Familien selbst bestimmt. So werden über den distanzierten Blick des Fotografen familiäre Konstellationen im Akt der Selbstdarstellung abgebildet. Die typische Kleinfamilie bzw. Kernfamilie kann so vergleichend betrachtet werden. Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten treten in der Gesamtschau deutlich hervor, ob durch die Tapete, die Möbel oder die Kleidung. Dieser Serie jedoch gänzlich fehlen abseits der klassischen Konstellation Mutter, Vater und Kindern, gleichgeschlechtliche Paare, Alleinerziehende, kinderlose Paare oder Menschen anderer Hautfarbe. Dies mag als Borcherts Zugeständnis an die ihn fördernde Institution zu sehen sein, nur die staatlich gewünschten Idealtypen darzustellen. (vgl. Borchert 2020 S. 219, S. 328‒332.)
1993, nach der Wende und zehn Jahre nach den ersten Familienporträts, besuchte Borchert einige der Familien erneut und verfestigte in der Gegenüberstellung mit den Fotografien von 1983 den dokumentarischen Wert dieser Aufnahmen.
Zum Motiv: "Familie M. (Maurer, Stationshilfe)"
Das Paar M. aus Groß Kiesow (Mecklenburg-Vorpommern) steht mit seinen drei Kindern im Wohnzimmer ihrer Plattenbauwohnung vor einer typischen Anbauwand der Marke Wi-We-Na. Die Mutter, die als Stationshilfe arbeitet, hält ein sich windendes Kind im Arm und lacht darüber. Neben ihr steht ihr Mann, ein Maurer, an den sich ein jüngerer Sohn drückt, während ein größerer Junge daneben steht. In der Schrankwand sieht man ein laufendes Fernsehgerät, eine Uhr und einen Plattenspieler.