[vorläufige Transkription:]
Giebichenstein bei Halle an[?] Halberstadt[?, gemeint ist das Saale-Departement im Kgr. Westfalen mit der Hauptstadt Halberstadt]
d 15t Oct[ober] 1811.
Ich kann unsern Fritz [Carl Friedrich Reichardt] nicht zu Ew. Hochehrwürden abgehen laßen, ohne ihm einige Zeilen des Danks u Vertrauens mitzugeben. Nach allem was ich von meiner sehr lieben Tochter Louise von Ihnen u. Ihrem ganzen Hause höre, muß ich es für eine wahre Wohlthat halten, daß der gute Junge nach dem bisherigen steten Wechsel u. Wandel nach Cassel, Pforta[?] u Halle, endlich in Ihre Hände kommt, wo es ihm weder an genauer Aufsicht noch an gründlichem wissenschaftl. Unterricht fehlen wird. An beiden hat es ihm bei meiner lang [...?] Abwesenheit, u. bei der Mangelhaftigkeit des Schulunterrichts in J[ena?] u. H[alle] gefehlt. Daher Sie anfänglich Geduld mit ihm werden haben müßen. Sie werden aber bald ein gutes bildsames Naturell an ihm gewahr werden u. so hoffe ich wird alles gut gehen.
Wir wünschen sehr daß er es sich verdienen[?] mag, bis in sein vierzehntes [eingefügt:] fünfzehntes Jahr (jetzt ist er aber 9 [eigentlich 8 ¼ Jahre = im 9. Jahr]) in Ihrem Hause zu bleiben, da er dann unter die sehr gute Aufsicht u. Leitung meines Schwiegersohnes des Prof. v Raumer nach Bresl[au] kommen kann, um sich, wenn er noch ferner die frühe Neigung dazu behält, sich dann dem Bergbau, oder doch den Naturwissenschaften ganz zu widmen. Vielleicht finden[?] es Ew. Hochehrwürden gut, dergl. auch künftig in seinem Unterricht einige Rücksicht zu nehmen. Doch[?] der erste gründliche Unterricht in alten Sprachen u. allem vor zum regul.[?] Schulunterricht gehört, ist zu allem[?] die erste und nothwendigste Grundlage.
Die zärtlich besorgte Mutter [Johanna Dorothea Wilhelmina Reichardt geb. Alberti, verw. Hensler, 1754-1827] sieht ihren Liebling mit Schmerzen so weit von sich gehen. Doch ist auch sie voll des besten Vertrauens zu seiner künftigen Lage u. selbst daß er nach ihrem geliebten Vaterland geht ist ihr angenehm. [eingefügt:] Sie ist eine Tochter des seel. Pastor Alberti [Julius Gustav Alberti, 1723-1772]. [...?] besonders ersuche ich Ew. Hochehrwürden ihr angelegentlich und von Zeit zu Zeit Nachricht von der Aufführung[?] und den Fortschritten unseres Jungen zu geben und ihn selbst dazu anzuhalten, daß er wenigstens monatlich einmal an uns schreibe. Wobei Sie ihm gewis[s] auch gerne ganz freie Hand laßen werden, ganz nach seinem Herzen und Sinn zu schreiben. Durch unsere gute, liebe Louise, die ihm eine zweite Mutter werden will, hoffen[?] wir auch öfter[?] von ihm zu hören, u. so empfehle ich ihn nur noch Ihrer Liebe u Vorsorge und werde ich stets bemühen[?], durch alle was in meinen[?] Kräften steht Ihnen die herzliche Dankbarkeit zu bezeigen, die Sie, als zweiter Vater u. Ihre liebe Frau als seine Pflegemutter in ihm verdienen.
Mit Hochachtung verharrend Ew. Hochehrw.
ganz ergebenster Diener
Reichardt
Herrn Pastor Hübbe
Hochehrwürden
In Allermöhe in den Vierlanden