Zur Werkgruppe "Studien- und Sachfotografie“
Einen großen Teil im fotografischen Schaffen von Gerda Leo nehmen die Studien- und Sachfotografien ein, die immer auch dem "Neuen Sehen“ verhaftet sind. Wohl arrangierte und präzise durchdachte Arrangements sind dabei von gefundenen Themen oder Aufgabenstellungen von ihrem Lehrer in der Fotoklasse an der "Burg“, Hans Finsler (1891–1972), zu unterscheiden. Finsler stellte den Schülern Aufgaben im Sinne von Anregungen: Eine Straße entlanggehen und Menschen mit der Kamera beobachten oder tätige, nach etwas greifende oder arbeitende Hände zu fotografieren. Das damit verbundene Ziel war es, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, beweglich werden im Sehen wie im fotografischen Darstellen des Gesehenen.
Zum Motiv “Pflaster nach dem Regen“
Nach einem Sommerregenguss im Juni 1931 fotografierte Gerda Leo das nasse Straßenpflaster aus einem Fenster ihrer Wohnung heraus. Die starke Vogelperspektive ermöglichte es ihr den Bildausschnitt derart zu beschneiden, dass der Fokus allein auf den von der Sonne beschienen, lichtschimmernden Steinen liegt und alles andere der Umgebung ausgeblendet wurde. Auf diese Art entstand ein rein strukturelles Bild mit Parallelen und Diagonalen. Besonders auffällig ist der Dreiklang von schräger Bordsteinkante, daneben das leuchtende Rinnsälchen und das beginnende Kopfsteinpflaster mit richtungsändernden Steinen. Die große Bandbreite an Grauwerten steckt im Motiv selbst: Die tiefschwarzen wassergetränkten Fugen erzeugen einen starken Hell-Dunkel-Kontrast zu den Lichtreflexen der Sonne auf dem Pflaster mit glatter Oberfläche. Hier kommt die Abbildung der Materialität zum Tragen. Die eher stumpfen Steine im Rinnsal bieten den Sonnenstrahlen nach dem Regenguss nicht die Projektionsfläche wie das glatte Pflaster. Die Sachaufnahme gehört zu einer Reihe von Studienarbeiten nach einer von ihrem Lehrer der Fotoklasse an der “Burg“, Hans Finsler, gestellten Aufgabe sich mit dem Thema “Wasser“ auseinanderzusetzen. Diese Fotografie vereint viele Elemente des “Neuen Sehens“: Eng gefasster Bildausschnitt, Vogelperspektive, Materialität der Dinge, das Ausnutzen der Grauwertskala und das Spiel mit dem Licht.
Schenkung Gerda d'Oliveira-Leo, Amsterdam