Zur Werkgruppe “Menschen“
Eine umfangreiche Gruppe in Gerda Leos Werk bilden fotografische Porträts. In ihren freien Fotografien experimentierte sie auch über konventionelle Sehgewohnheiten hinaus. Die Bildnisse ihrer Familie, aus dem Freundeskreis oder im Umfeld ihres Studiums an der “Burg“ reichen von en face-Darstellungen bis hin zum verlorenen Profil und zeigen Situationen oder Inszenierungen, in Innen- oder Außenaufnahmen. Einige stilistische und kompositorische Mittel finden sich immer wieder: Tageslicht fällt meist als starkes Seitenlicht auf die Gesichter, so dass, vor allem bei en face-Darstellungen, eine Gesichtshälfte im Dunkel bleibt. Zudem sind die Portraitierten häufig knapp ins Format gesetzt, bis hin zum Anschnitt, oft vor nicht näher definierbarem, hellen oder dunklen Hintergrund. Diese Elemente ihrer Bildsprache finden sich schließlich auch in anderen Sujets wieder, etwa bei Pflanzen- oder Sachaufnahmen. Gerda Leos Aussage: “Man nimmt nur auf, was schon in einem drin ist.“ wird hier visuell nachvollziehbar (zit. n. Staatliche Galerie Moritzburg (Hrsg.), Gerda Leo. Photographien 1926–1932, Leipzig 1994, S. 75).
Zum Motiv “Ebbe“
Bevor Gerda Leo 1928 an der "Burg“ in die Fotoklasse von Hans Finsler wechselte, fotografierte sie bevorzugt Menschen aus ihrem Familien- und Freundeskreis. Dieses Foto zeigt ihre jüngere Schwester Elsbet, kurz Ebbe genannt, im Alter von 17 Jahren. Schon hier wird die Formensprache deutlich, die Gerda Leo kurze Zeit später unter Finsler perfektionieren wird. Das Gesicht fasste Leo knapp ins Bild und bringt Elsbet auf diese Weise nah heran. Das Tageslicht fällt als Seitenlicht in das Gesicht der Schwester. Die Verschattung der nicht beleuchteten Gesichtshälfte wird auf späteren Aufnahmen als stilistisches Element noch stärker hervortreten. Der eng gefasste Bildausschnitt sowie die Lichtakzentuierung von der Seite korrespondieren mit Elsbet Leos Blick nach oben und zeichnen eine träumerische Persönlichkeit.
Schenkung Gerda d'Oliveira-Leo, Amsterdam