Die literarische Mode der Anakreontik – scherzhafte Dichtung von Wein, Weib und Gesang– war eine Proklamation der Sinnenlust, Lebensfreude und Diesseitigkeit. Sie hatte sich den griechischen Dichter Anakreon zum Vorbild genommen. Ihr Hauptvertreter, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, war auch als der „deutsche Anakreon“ bekannt. Friedrich von Hagedorn, ein anderer Exponent dieser literarischen Strömung, hat die biblische Begebenheit von „Susanna im Bade“, in anakreontischer Manier neu überdacht, und ganz einleuchtend gedichtet:
Susannens Keuschheit wird von allen hoch gepriesen:
Das junge Weib, das jeder artig fand,
tat beiden Greisen Widerstand
und hat sich keinem hold erwiesen.
Ich lobe, was wir von ihr lesen:
doch räumen alle Kenner ein;
das Wunder würde größer sein,
wenn beide Buhler jung gewesen.
Traditionell diente das Sujet den Malern als Vorwand für die Darstellung weiblicher Reize, und so auch bei dieser gekonnt-skizzenhaften Arbeit eines wohl süddeutschen Rokokomeisters. Weit davon entfernt, Susanna als als Musterbeispiel für Keuschheit zu interpretieren, zeigt der Maler eine Konstellation erotischer Spannung. So findet die literarische Anakreontik hier eine bildkünstlerische Entsprechung.