Im Jahr 1761 kam die Gastwirtstochter Anna Louisa Karsch, geborene Dürbach, aus der schlesischen Provinz in die preußische Hauptstadt. Nachdem ihr zweiter Ehemann, ein Trinker, mit dem sie gegen ihren Willen verheiratet worden war, zur preußischen Armee eingezogen worden war – es war die Zeit des Siebenjährigen Krieges – war sie ihr eigener Herr. In Berlin erregte sie durch ihr literarisches Talent Aufsehen. In den literarischen Zirkeln wurde sie bestaunt, selbst bei Hof wurde sie empfangen. Der Ästhetiker Johann Georg Sulzer, der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim und der Kaufmann Heinrich Wilhelm Bachmann veranstalteten eine Edition ihrer Gedichte, deren finanzieller Gewinn angelegt werden und durch seine Zinsen der mittellosen Poetin ihren Lebensunterhalt sichern helfen sollte. Den Buchschmuck sollte der Berliner Radierer Johann Wilhelm Meil schaffen, darunter das „bilde der sapho“, wie Gleim im Juli 1762 von Karsch erfuhr (Bw Karsch/Gleim, 1. Bd., Nr. 102, S. 130). ..Gleim hatte Karsch wegen ihrer stilistischen Wesensart mit der griechischen Lyrikerin in Analogie gesetzt und als „deutsche Sappho“ bezeichnet, wie er selbst als der „deutsche Anakreon“ und etwa Karl Wilhelm Ramler als der „deutsche Horaz“ bekannt war. Sappho wurde zum alter ego der Anna Louisa Karsch und zu einer literarischen Rolle; oft unterzeichnete sie ihre Briefe mit diesem Namen. Ob also zunächst an ein Porträt der Karschin oder aber ein solches von deren Rollenvorbild zur Ausstattung der „Auserlesenen Gedichte“ gedacht war, geht aus dieser Formulierung nicht eindeutig hervor. Als jedoch wegen der Saumseligkeit Meils der Hofkupferstecher Georg Friedrich Schmidt mit der Aufgabe betraut wurde, war jedenfalls ein solches der griechischen Dichterin geplant; Sulzer sollte als Vorlage ein Münzporträt beschaffen (Karsch an Gleim, 29.9.63, Bw Karsch/Gleim, Nr. 143, 1. Bd., S. 186). Sechs Wochen später dann ist davon nicht mehr die Rede; stattdessen sollte Schmidt nu